Auch Deutschland hat gegen den Stabili-
tätspakt verstoßen und damit ein schlechtes
Beispiel gegeben. Ab dem Jahre 2005 haben
Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminis-
ter Steinbrück die Einhaltung des Stabili-
tätspakts wieder auf ihre Fahnen geschrie-
ben. Das Ausscheren Deutschlands aus der
Stabilitätskultur hat in der Tat auf die ande-
ren einmiserables Beispiel gegeben.
Wie können es Italien und Spanien schaf-
fen, sich gegen massive Finanzspekulatio-
nen zu halten?
Italien und Spanien haben durch die Kon-
solidierungs-
und
Strukturmaßnahmen
der letzten Monate auf den Märkten wieder
neues Vertrauen gewonnen. Die Zinsen für
Staatsanleihensind inItalienheutenichthö-
her alsMitte der 90er Jahre. Das heißt, Itali-
en und andere Länder können ihre Probleme
bewältigen. Sie sindnicht schwieriger als der
Konvergenzprozess in den 90er Jahren.
Was sagen Sie Ihren Landsleuten, wenn die
nicht wollen, dass Deutschland künftig Au-
tonomie an die EU abgibt und gleichzeitig
mit immer höherenMilliardenbeträgen für
andere EU-Länder haften muss?
Jeder vernünftige Mensch akzeptiert heu-
te, dass wir mehr Europa brauchen. Dies
bedeutet mehr Kooperation, mehr Koordi-
nation, stärkere Abstimmung, Früherken-
nung von Wirtschafts- und Finanzkenn-
ziffern und entsprechende rechtzeitige
Korrektur. Das ist keine Aufgabe souverä-
ner Rechte. Den Deutschen muss stärker
gesagt werden, wie sehr die deutsche Volks-
wirtschaft von der gemeinsamen euro-
päischen Währung profitiert. Das haben
Studien vonMcKinsey, von Allianz und der
KfW überzeugend ergeben. Leider werden
diese Positivdarstellungen nur wenig kom-
muniziert.
Ist es gut, dass hauptsächlich Deutschland
und Frankreich sich um die Überwindung
der Krise kümmern? Haben kleine Länder
wie Österreich genügendMitsprache?
Deutschland und Frankreich und die Zu-
sammenarbeit beider Länder ist wichtig
für den Fortschritt in Europa. Gleichzei-
tig muss Deutschland sich intensiv um die
Zusammenarbeit mit anderen Stabilitäts-
ländern wie Österreich, den Niederlanden,
Finnland und anderen bemühen. Das hat
Helmut Kohl überzeugend getan.
Sie haben die Vision einer europäischen
Regierung immer wieder geäußert. Ist das
wirklich besser als das aktuelle System, das
doch einen gewissenWettbewerb der Stand-
ort- undWirtschaftspolitik ermöglicht?
Ich bin für eine Stärkung des Europäischen
Zur Person
Dr. Theo Waigel war als
Finanzminister im Kabinett
Helmut Kohl für die Ausver-
handlung und Durchführung
der Europäischen Währungs-
union verantwortlich. Er gilt
als Vater des EU-Stabilitäts-
paktes und Namensgeber
der europäischen Währung:
„Euro“ geht auf einen von
Theo Waigel im Dezember
1995 im EU-Rat eingebrach-
ten Vorschlag zurück.
Parlaments als Gegengewicht zur Europä-
ischen Kommission. Heute wird das Ziel
der vereinigten Staaten von Europa eher
zurückhaltend geäußert. Ich bin für die
vereinigten Staaten in Europa. Das besagt,
die Staaten, die stärker zusammenarbeiten
wollen, müssen in einem inneren Kreis vo-
ranschreiten und die notwendigen Dinge
voranbringen. Dazu gehört aber auchWett-
bewerb der Standort- und Finanzpolitik.
Nur durch einen Wettbewerb entstehen
Best Practices. Man kann nicht ganz Euro-
pa über einenKammscheren. ImGegenteil:
Mehr Subsidiarität in der Strukturpolitik
und in der Agrarpolitik ist von Nöten.
Wie lange wird es den Euro geben? Und
kommt es irgendwann einmal zur weltwei-
ten Einheitswährung?
Ich gebe dem Euro eine lange Lebenszeit.
Eine weltweite Einheitswährung wird es
wohl in absehbarer Zeit angesichts der Un-
terschiede in der Welt nicht geben.
Vielen Dank für das Gespräch.
© GAJANIN,GORAN/Action Press/picturedesk.com
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