Seite 24-25 - Raiffeisen Magazin

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sowie eine Frauen-WG umfasst. 14Männer
und acht Frauen mit Suchtvergangenheit,
in erster Linie Alkohol- und Medikamen-
tenabhängige, haben 2010 im Verein Em-
maus einen Platz gefunden. Im Vorjahr
war die Nachfrage an Plätzen besonders
hoch, weshalb immer wieder mit Bedauern
Bewerber und vor allem Bewerberinnen
abgewiesen werden mussten. Speziell die
Nachfrage unter Frauen mit Suchterkran-
kungen habe überrascht, sagt Zecha: „Wir
haben die Frauen-WG erst vor drei Jahren
gegründet und hatten anfangs viel damit
zu tun, diese Einrichtung unter Betroffe-
nen bekannt zu machen.“ Das Thema Sucht
werde nämlich gerade in Bezug auf Frauen
noch oft tabuisiert, so Zecha. Dass sich nun
imVorjahr gerade unter Frauen eine so rege
Nachfrage abgezeichnet hat, werte man als
Zeichen des Erfolges bei der Vermittlung
des Angebotes. Zugleich sehe man es als
Auftrag, das Angebot weiter denBedürfnis-
sen der Klienten anzupassen. Daher wird
2011 der Wohnbereich weiter ausgeweitet.
Neben dem betreuten Wohnen, das eher im
für die Öffentlichkeit Verborgenen stattfin-
det, umfasst Emmaus einen großen Dienst-
leistungsbereich. Dieser ist zugleich das
Aushängeschild von Emmaus. Geschäfts-
führer Benedikt Zecha beschreibt das viel-
fältige Angebot seines Vereins als „orga-
nisierte Nachbarschaftshilfe“. Diese Idee
stand auch zu Beginn, bei der Entwicklung
des Angebotes, Pate. Man nahm sich Dorf-
gemeinschaften, in denen ein Nachbar den
anderen bei kleineren Arbeiten im und ums
Haus um Hilfe bittet, zum Vorbild. Weil
heutzutage diese Gemeinschaft oft fehle,
gerade im urbanen Raum Innsbruck, füllt
Emmaus nun diese Lücke. Seien es Gar-
tenarbeiten – vom Rasenmähen, übers He-
ckenschneiden bis hin zum Abtransport
von Gartenabfällen – oder kleinere Diens-
te in der Wohnung – vom Ausmalen, übers
Putzen bis zum Fliesenlegen – die Mitar-
beiterinnen von Emmaus gehen gerne zur
Hand. Diese Hilfsdienste haben zudem den
Vorteil, dass sie allesamt keinerlei beson-
derer Vorkenntnisse bedürfen und für je-
den leicht erlernbar sind.
Viele Klienten des Vereins kommen
aus dem Baugewerbe oder dem Tourismus,
bringen daher auch schon gewisse Erfah-
rung in ähnlichen Bereich mit. In geschäft-
Rund die Hälfte aller betreuten Klientenwird erfolgreich
ins Leben zurück entlassen. Für eine Einrichtung, diemit
Suchtpatienten arbeitet, eine schier unglaubliche Quote.
„Beispielhaft und heilsam“
Der Tiroler Caritas-Direktor Georg Schärmer bezeichnet die Arbeit
des Vereins Emmaus als unverzichtbar. Im Gespräch mahnt er einen
verantwortungsvolleren Umgang mit der Volksdroge Alkohol ein.
H
err Schärmer, was verbinden Sie
persönlichmit demEmmaus-Grün-
der Abbé Pierre?
Georg Schärmer:
Eine herausra-
gende Persönlichkeit, die mehr Aufmerk-
samkeit verdienen würde. Wenn der heilige
Franziskus einmal gesagt hat, dass wir un-
ermüdlich das Evangelium verkünden und
nur im äußersten Notfall Worte dafür ver-
wenden sollen, dann ist Abbé Pierre, der ja
stark franziskanisch geprägt war, ein Stück
konkretisiertes Evangelium. Darüber hin-
aus war er auch ein faszinierender Politiker
und ein Kirchenkritiker, ohne dass er der
Kirche den Rücken gekehrt hätte.
Für wie wichtig erachten Sie die Arbeit des
Vereins Emmaus Innsbruck?
Emmaus ist für mich ein unverzichtba-
rer Baustein in der Begleitung von alko-
holkranken Menschen; ein besonderes Bio-
top in der Soziallandschaft unserer Stadt,
unseres Landes. Das beherzte Engagement
und die hoheVerbindlichkeit, die dort gelebt
werden, sind beispielhaft und „heilsam“.
In unserer Gesellschaft steigt die Zahl der
Menschen mit Suchterkrankungen kontinu-
ierlich.Woran liegt das IhrerMeinung nach?
Sucht hat mehrere Ursachen. Rund 30 bis
40 Ursachenfelder wirken zusammen, bis
ein Mensch in krankhafter Abhängigkeit
landet. Der moralische Zeigefinder hat
dabei nichts verloren. In der Regel haben
wir es mit einer schweren Krankheit zu
tun und mit einem riesigen Feld der Ge-
schäftemacherei. Wir haben nicht zuletzt
deshalb so viele Süchtige, weil andere es so
wollen, sprich keine Kundinnen und Kun-
den verlieren möchten. Suchtmittelhan-
del – legaler wie illegaler – rangiert an der
Spitze der Weltwirtschaft. Vor allem der
mit Alkohol.
Bedarf es eines Umdenkens im Umgang mit
der Gesellschaftsdroge Nummer eins?
Sicherlich. Aber Umdenken allein genügt
nicht. Und es gibt kein Patentrezept. Was
für den einen Genuss ist, kann für jemand
anderenUrsache desVerdrusseswerden. In
keinem Fall dürfen wir diese epidemische
Krankheit bagatellisieren, der Lächerlich-
keit ausliefern. Kinder- und Jugendschutz
sind in jedem Fall auszubauen. Vor allem
aber sind die „Opfer“ besser zu betreuen.
Unter anderem auch die Kinder von Alko-
holkranken. Die Caritas versucht dies etwa
imProjekt „Kinderleicht“.
Vielen Dank für das Gespräch.
licher Hinsicht bedeutet dieses Angebot
kaum Konkurrenz für Handwerksbetriebe,
da es sich eben nur um Hilfsdienste han-
delt, die ansonsten im Pfusch oder im Zuge
von Nachbarschaftshilfe erledigt werden.
Preislich sind die Dienste von Emmaus er-
schwinglich, da dank Fördergebern nicht
zwingend alle Kosten für die Vereinsarbeit
über die Dienstleistungen erbracht werden
müssen. Trotzdem konnte der Verein 2010
mehr als die Hälfte aller laufenden Kosten
durch selbsterwirtschaftete Mittel und
Spenden, die etwa von der Raiffeisenbank
kommen, aufbringen. Ein Zuckerl für die
Kunden erwächst aus der Gemeinnützig-
keit. Dadurch kann Emmaus seine Dienste
ohne Mehrwertsteuerzuschlag anbieten.
Außerdem besteht die Möglichkeit, für
sämtliche Arbeiten vorab einen Pauschal-
betrag zu vereinbaren. Die Kostenvoran-
schläge können völlig unverbindlich und
kostenlos angefordert werden.
Bügelservice als Renner
Relativ neu im Dienstleistungsprogramm
von Emmaus ist das Bügelservice, das
wochentags in Mühlau angeboten wird.
Anfangs als Nischenprodukt gedacht, ent-
wickelte sich das Bügelservice rasch zum
Renner. In Kooperation mit der Dorfwerk-
statt Mühlau, die Emmaus Räumlichkeiten
zur Verfügung stellt, können Kunden ihre
faltige Wäsche von Montag bis Freitag, von
jeweils 7.30 bis 11.30 Uhr abgeben. Die flei-
ßigen Emmaus-Mitarbeiterinnen – beim
Bügelservice tun fast ausschließlich Damen
Dienst – haben alle Hände voll zu tun, weil
ihr Bügelservice den Nerv der Zeit getrof-
fen hat. Es seien vor allem ältere, alleinste-
hende Herren, die sich hier ihre Hemden
aufbügeln lassen. Aber auch Geschäftsleute
oder Studenten haben schon auf das Ange-
bot zurückgegriffen. Wer will, kann sich die
Wäsche auch per Zustelldienst abholen und
liefern lassen. Verrechnet wird proWäsche-
stück, die Bearbeitung dauert in der Regel
ein bis zwei Tage, in dringendenFällen kann
aber auch früher geliefert werden.
Das
Dienstleistungsangebot
bringt
aber nicht nur den Kunden einen Nutzen,
auch die Klientinnen und Klienten des
Vereins Emmaus profitieren davon. Durch
die Beschäftigung im Team von Emmaus
erhalten sie die Möglichkeit zum Wieder-
eintritt ins Berufsleben: ein geregelter Job,
mit geregelter Bezahlung – ganz so wie im
normalen Alltag. Für Suchtpatienten ist
schon die Rückkehr in eine Tagesstruktur
ein großer Schritt. Umso wertvoller ist die
Arbeit von Emmaus: Hier werden Men-
schen behutsam zurück in die Normalität
begleitet. „Bei uns dürfen die Menschen
wiederWurzeln schlagen. Wir lassen ihnen
durch die langfristige Betreuung, die auf
ein bis zwei Jahre ausgelegt ist, auch die nö-
tige Zeit dazu“, erklärt Geschäftsführer Be-
nedikt Zecha. Durch die Dienstleistungen
stehen die Klienten permanent in Kontakt
zu den Kunden. Dieser direkte Umgang mit
der Außenwelt stärkt das Selbstbewusst-
sein. Die richtigen Umgangsformen mit der
Kundschaft sind sogar Teil eines internen
Ausbildungsprogrammes. Mit Erfolg, wie
Zecha bestätigt: „Ein großer Teil unserer
Kunden sind mittlerweile Stammkunden.“
Die Erfolgsbilanz des Vereins Emmaus
spricht letztlich für sich. Rund die Hälfte
aller betreuten Klienten wird erfolgreich
ins Leben zurück entlassen. Für eine Ein-
richtung, die mit Suchtpatienten arbeitet,
eine schier unglaubliche Quote. Wobei Be-
nedikt Zecha gerade das Wort Quote mit
Vorsicht benutzt. Denn letztlich seien es
die vielen kleinen, wie großen Erfolge, die
in der täglichen Arbeit zählen. Und genau
hier wirkt der Geist von Abbé Pierre, dem
Gründervater
der
Emmaus-Bewegung
fort. Hier werdenMenschen, die hilflos und
ohne Hoffnung sind, zurück ins Leben in
der Gemeinschaft begleitet.
„Wir haben nicht zuletzt deshalb
so viele Süchtige, weil andere es so
wollen, sprich keine Kundinnen und
Kunden verlierenmöchten. Suchtmit-
telhandel – legaler wie illegaler – ran-
giert an der Spitze derWeltwirtschaft.
Vor allemder mit Alkohol.“
Georg Schärmer, direktor der Caritas tirol
© gerhard berger (2)
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