Seite 28 - Raiffeisen Magazin 2012

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Helden der
Lüfte
Seit fast drei Jahrzehnten
heben sie jedes Jahr zu Tau-
senden Einsätzen ab und retten
dadurch unzählige Menschen-
leben. Das Raiffeisen Magazin
besuchte ein Team der ÖAMTC-
Flugrettung.
Text: Daniel Naschberger
D
ass ein Krieg auch seine guten
Seiten haben kann, mag im ers-
tenMoment pietätlos klingen. Im
Falle des Vietnamkriegs sogar
umso mehr. Doch ausgerechnet ebenjener
brutal geführte Konflikt, der in den 1960er
und 1970JahrendieWelt inAtemhielt, trug
maßgeblich zur Entwicklung des heutigen
Flugrettungssystems bei. „Die Amerikaner
erkannten, dass es wesentlich mehr Sinn
macht, bei der Rettung verwundeter Solda-
ten einen Arzt an Bord zu haben, der diese
schon während des Flugs ins Lazarett me-
dizinisch versorgen und vor allem die es-
senzielle Schockbekämpfung durchführen
kann. So wurde die Überlebenschance un-
gemein erhöht.“ Das ist nur eine von zahl-
reichen Geschichten und Anekdoten, die
Hubschrauber-Kapitän Gilbert Habringer
zu berichten weiß.
Es ist sieben Uhr morgens. Dichte Wol-
ken liegen über Innsbruck, der Himmel ist
in Grau und Schwarz gefärbt. Regentropfen
prasseln gegen die Fensterscheiben. Hab-
ringer sitzt in einer Ecke des Aufenthalts-
raums am Stützpunkt des Christophorus
1, der sich unweit des Innsbrucker Flug-
hafens befindet. „Christophorus 1 war der
erste Notarzthubschrauber der Christo-
phorus-Flotte und wurde am 1. Juli 1983 in
Dienst gestellt. Deshalb trägt er diese Zahl,
die Hubschrauber sind nach ihrem Grün-
dungsdatum nummeriert“, erzählt Habrin-
ger und blickt aus dem Fenster. Zwischen
null und acht Einsätzen fliegen die Inns-
brucker Flugretter im Durchschnitt pro
Tag, die starken Schwankungen sind sai-
sonal- und witterungsbedingt. Die unwirt-
lichen Verhältnisse an diesem Tag stim-
men Habringer skeptisch, an allzu viele
Einsätze glaubt er nicht. „Die Skisaison ist
vorüber, bei demWetter heute ist wohl auch
kaum jemand in den Bergen unterwegs. Ein
großer Verkehrsunfall kann aber natürlich
immer passieren, dannwerdenwir auch ge-
rufen. Wenn es ein ruhiger Tag wird, habe
ich auch nichts dagegen, immerhin fliegen
wir rund 800 Einsätze im Jahr“, meint Ha-
bringer und lächelt.
Unterwegs seit 30 Jahren
Einer der erfahrensten Christophorus-Pi-
loten Österreichs hat die Ruhe weg. Aus der
Fassung scheint ihn nach fast 30 Jahren in
Diensten der ÖAMTC-Flugrettung nichts
mehr zu bringen. Habringer war einer der
Gründerväter des heutzutage nicht mehr
wegzudenkenden Christophorus-Flugret-
tungsvereins. Seine Pilotenkarriere be-
gann der gebürtige Oberösterreicher beim
Bundesheer, danach war er als Transport-
flieger für ein Unternehmen in Salzburg
tätig. Und dann kam jene Anfrage, die Ha-
bringers weiteres Berufsleben bestimmen
sollte und ihn vor drei Jahrzehnten nach
Tirol ziehen ließ.
Dazu die Vorgeschichte: Während der
ADAC in Deutschland bereits 1972 Not-
arzthubschrauber einsetzte, hinkte man
hierzulande noch einige Jahre hinterher.
In Österreich flog zwar das Innenministe-
rium Rettungseinsätze, aber ohne Arzt an
Bord. Die Erfahrungen aus dem Vietnam-
krieg waren in Österreich erst viel später
angekommen. „Ich bin selbst inmeiner Zeit
beim Militär zu Verunfallten geflogen. Es
war teilweise erschütternd, wenn hinten
im Hubschrauber ein Patient vor Schmer-
zen schrie und Qualen litt und wir nichts
machen konnten – wir waren ja keine Ärz-
te, nur gewöhnliche Soldaten“, berichtet
Gilbert Habringer und erinnert sich an die
Anfänge des Christophorus in den 1980er
Jahren zurück.
„Geistiger Vater“ der ÖAMTC-Flugret-
tung war der Arzt Gerhard Flora, der als
damaliger Leiter der gefäßchirurgischen
Abteilung an der Universitätsklinik Inns-
bruck das Projekt „Christophorus-Not-
arzthubschrauber“ gemeinsam mit dem
ÖAMTC initiierte. Davor hatte Flora gegen
große Widerstände ankämpfen müssen.
Seine Idee eines Patientenversorgungssys-
Der erste Notarzthubschrauber nahm am
1. Juli 1983 den Dienst auf. Sein Name:
Christophorus 1 – mit Stützpunkt am
Innsbrucker Flughafen.
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