Seite 20 - Raiffeisen Magazin 2012

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Der Mann für die Zwischentöne
Herbert Neureiter baut Klarinetten und Querflöten. In Söll tüftelt er mit viel Erfindergeist
an neuen Materialien und Instrumenten.
text: Jane Kathrein
E
r freut sich noch immer wie ein
kleines Kind. Diese Anspannung
vor dem ersten Mal legt sich, so-
bald sie erklingt. Rau? Lieblich?
Leise? Herbert Neureiter hat nach fünf-
undzwanzig Jahren des Experimentierens
erkannt: Keine Klarinette klingt wie die
andere, auch nicht wenn Holz und Bauplan
identisch zur Vorgängerin sind. Der Ton
bleibt einzigartig.
Was den feinen Unterschied ausmacht,
versucht der Instrumentenbauer an einzel-
nen Faktoren festzumachen. Manche, wie
die Raumtemperatur im Konzertsaal oder
die Tagesverfassung des Musikers, kann
selbst der Meister nicht beeinflussen. „Das
macht die Faszination am Bau von Musik-
instrumenten aus, dass eben nicht alles
nach Plan läuft“, sagt Herbert Neureiter.
Das nähre den Erfindergeist.
Handwerkskunst
HerbertNeureiter baut QuerflötenundKla-
rinetten. Keine Kopien, sondern Originale,
wie er sagt. In Tirol gibt es noch eine Hand-
voll Klarinettenbauer – ein Handwerk, das
sich in einer Nische zwischen asiatischer
Billigproduktion und europäischer Musik-
erzeugerindustrie behauptet. Österreich
ist ein Land von kleinen Werkstätten und
Spezialisten. In Serie gebaute Instrumente
sind in der Anschaffung billiger, attraktiv
für den Amateurbereich. Das was Her-
bert Neureiter in seiner Werkstätte in Söll
schnitzt, feilt, zusammensteckt, ist hinge-
gen maßgeschneidert. Handwerkskunst.
Eine Qualität, die manche Profimusiker so
sehr schätzen, dass sie dafür aus der ganzen
Welt bis nach Söll reisen. Neureiters Klari-
netten und Querflötenwerden zumBeispiel
auch in Japan gespielt.
„Die
handwerkliche
Vielseitigkeit
macht diesen Beruf so interessant“, sagt
er. In den verschiedenen Arbeitsphasen
erkennt Neureiter Überschneidungen zu
anderen Berufsfeldern, wie dem Drechsler,
dem Dreher, dem Werkzeugmacher, Gold-
schmied, Uhrmacher, Feinmechaniker.
Dass ein guter Handwerker die Instrumen-
te, die er baut, auch spielen kann, ist für ihn
Voraussetzung. Beim Musizieren im sym-
phonischen Blasorchester und bei vielen
Gesprächen mit den Kollegen erkannte er,
dass die Klarinette viele Schwachstellen
hat. Neureiters Neugierde war geweckt.
In mehrjähriger Arbeit analysierte er die
Problemzonen und entwickelte eine B-Kla-
rinette mit zuverlässiger Mechanik, die in
allen Tonlagen optimale Akustik und Into-
nation bietet.
Experimentierfreude
„Das Schwarze nennt sich Grenadill“, sagt
Neureiter und zeigt auf ein Stück Holz. Aus
dem Schwarzen baut er die Klarinette. In
Afrika gewachsen, mehr als 40 Jahre alt,
ein Erbstück von Christian Jäger, seinem
Lehrmeister. DerMünchner hat in den 80er
Jahren durch seine Bauweise von Großflö-
ten die Branche beeindruckt. Ein Grund,
warum Herbert Neureiter zur Lehre nach
München ging, waren Jägers Wissen und
seine Experimentierfreude, fehlende Aus-
bildungsplätze in Österreich der andere.
„Christian Jäger war ein richtig guter
Handwerker“, stellt der ehemalige Lehrling
auch nach vielen Jahren noch voll Bewun-
derung fest. Er vererbte seinemSchüler ne-
ben Wissen und Experimentiergeist auch
Baumaterial und Werkzeug, gutes Rüst-
zeug für den Familienbetrieb in Söll, den er
mit drei Mitarbeitern – darunter ein Lehr-
ling – führt.
„Warum sich mit etwas zufriedenge-
ben, das man verbessern kann“, beschreibt
Neureiter seine Motivation. Zu erfahren,
wie viel mehr Freude die Musiker durch
seine Innovationen haben, sei eine zusätz-
liche Bestätigung. Die Böhmquerflöte für
Kinder etwa, leichter und kleiner als die
normale Querflöte, wird bereits an denMu-
sikschulen gespielt. Auch diese sind keine
Kopien, sondern Originale aus Herbert
Neureiters Werkstatt in Söll.
Heimischer Instrumentenbau
Rund zwanzig Instrumentenbauer gibt es aktuell
noch in Tirol. Österreich ist ein Land von kleinen
Werkstätten und Spezialisten – abgesehen von
inzwischen geschlossenen Klavierfabriken in
Wien gab es nie größere Herstellerbetriebe, im
Gegensatz zu Frankreich, England, Italien und vor
allem Deutschland. Die österreichische Instru-
mentenindustrie war früher im böhmischen Gras-
litz und Umgebung konzentriert – mit tausenden
Mitarbeitern, die dortigen Instrumentenbauer
ließen sich nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle
in Deutschland nieder, was zu einer weiteren Kon-
zentration von Herstellerbetrieben aller Größen in
Deutschland beitrug.
Die Nachfrage nach Lehrstellen ist in diesem
Handwerk aufgrund der geringen Zahl an Ausbil-
dungsbetrieben sehr groß. Die angehenden Lehr-
linge sind häufig Musiker, die ein traditionelles
Handwerk mit künstlerischem Einfluss erlernen
wollen. Immer mehr Autodidakten stellen man-
gels Lehrplätzen selber Instrumente her.
„Das
macht die
Faszination
amBau von
Musik­
instrumenten
aus, dass eben
nicht alles
nach Plan
läuft.“
Herbert Neureiter
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