sehr realistische Kenntnis der Welt, um zu sehen, dass liberale Demokratien sehr anspruchsvolle Regierungen sind, die an bestimmte Voraussetzungen gebunden sind, die in weiten Teilen der Welt nicht erfüllt sind. Wie Sie in Ihrem Buch sehr eindrücklich festhalten, sind wir ohne diese grundsätzliche Toleranz gegenüber anderen Lebens- und Regierungsformen als Menschheit nicht wirklich überlebensfähig. Der Countdown für die Zeit, in der Menschen auf dieser Erde ein komfortables Leben führen können, läuft aufgrund des Klimawandels und der fortschreitenden Umweltzerstörung ab. Wir sind also geradezu gezwungen zur Zusammenarbeit, denn ein lokaler, regionaler oder nationaler Umweltschutz wird den Planeten nicht retten. Das geht nur mit ganz gewaltigen internationalen Kooperationen und großen Projekten. Deswegen ist es irrsinnig wichtig, dass wir zu einer friedlichen Koexistenz kommen. Das ist die Hauptaufgabe, vor der unsere Politik international steht. Dass derzeit ein Präsident an der Spitze der USA steht, der dies so gar nicht auf seiner Agenda hat und noch dazu den Klimawandel leugnet, macht die Situation nicht unbedingt einfacher. Es gibt für mich nur einen sehr graduellen Unterschied zwischen denjenigen, die den Klimawandel leugnen wie Donald Trump, und denjenigen, die ihn zwar nicht leugnen, so wie die meisten europäischen Politiker, aber so leben, als wäre er nur eine Kleinigkeit. Denn in der Agenda der Politik spielt er im Augenblick in keinem europäischen Land mehr eine zentrale Rolle. Das größte Problem, auf das wir derzeit zusteuern, ist inzwischen sehr unpopulär geworden. Demzufolge hat man das Thema also auch in unseren Breiten nicht so wirklich ernst genommen. Ist es nicht erschreckend, wie schnell es aus der Tagespolitik verschwunden ist? Erschreckend ist, wie schnell sich Ängste umwandeln lassen. Während wir in den Zeiten von Greta noch die allergrößte Angst vor dem Klimawandel hatten, haben wir in Deutschland jetzt die allergrößte Angst vor den Russen. Wir haben die Angstbedrohung vor dem Klimawandel durch die Angstbedrohung vor einem dritten Weltkrieg oder einer russischen Invasion ersetzt. Das Angstmanagement funktioniert weiter, hat aber ein anderes Thema. Sie betonen immer wieder, dass Aufrüstung ebenso wie militärische Konfrontation allein schon aus ökologischen Gründen überhaupt nicht zu rechtfertigen ist. Wir müssen das ökologische Thema derzeit verdrängen, weil wir sonst nicht aufrüsten können. Geboren ist das alles daraus, dass wir seit Donald Trump daran zweifeln, dass uns die USA im Fall eines Angriffs auf das NATO-Gebiet verteidigen würden – und dass die Russen diese Situation ausnutzen könnten. Das hat eine gigantische Irritation ausgelöst. Die ließe sich natürlich auf diplomatischem Weg beenden, indem man jetzt schafft, was nach dem Kalten Krieg verabsäumt wurde: eine neue europäische Sicherheitsarchitektur unter Einbezug Russlands. Wenn das gelingt, müssen wir nicht mehr aufrüsten. © CHRISTIAN O. BRUCH Spricht bei den Tiroler Tourismusgesprächen zum Thema Resilienz: der bekannte deutsche Philosoph Richard David Precht.
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