Raiffeisen KOMPAKT 02 | 2025

24 TIROLER TOURISMUSGESPRÄCHE – KOMPAKT 2|2025 Herr Precht, Sie haben Ihr Buch „Das Jahrhundert der Toleranz“ vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl veröffentlicht. Mit Donald Trump sitzt nun ein Präsident im Weißen Haus, der ganz klar Interessen, aber nicht wirklich unsere sogenannten westlichen Werte vertritt? Richard David Precht: Ja, Werte spielen in der Agenda von Donald Trump so gut wie überhaupt keine Rolle mehr. Die einzigen Werte, die er kennt, sind Geldwerte. Die USA werden jetzt regiert wie eine Firma, rein kapitalistisch, ohne Weltanschauung, ohne Ideologie, aber eben auch ohne Werte. Das, was wir vorher den Westen genannt haben, existiert so nicht mehr. Aber bestünde nun nicht die Chance, uns ernsthaft multipolar aufzustellen? Die Chance sehe ich, aber der Weg dorthin ist ein sehr weiter. Die augenblicklich vorherrschende Haltung in Deutschland ist Trotz. Wir machen trotz Donald Trump so weiter wie vorher im Windschatten der US-amerikanischen Demokraten, betreiben also eine Biden-Politik ohne Biden. Das halte ich jedoch für eine Übergangsphase, weil das dauerhaft nicht funktioniert, wie wir gerade jetzt im Ukrainekrieg sehen. Da haben Briten, Polen, Franzosen und wir Deutschen versucht, eigenständig zu handeln, was international überhaupt nicht ernst genommen wurde. Wir werden also neu darüber nachdenken müssen, wie wir uns in einer multipolaren Weltordnung aufstellen. Wie Sie in Ihrem Buch ausführlich darlegen, wird diese multipolare Weltordnung nur funktionieren, wenn wir unsere westliche Überheblichkeit aufgeben. Ich habe ein großes Problem mit dem Begriff westliche Werte. Ich bin ein Anhänger des moralischen Universalismus in der Tradition von Immanuel Kant, was häufig mit dem Begriff westliche Werte gleichgesetzt wird. Es sind aber eben universelle Werte. Und je mehr wir betonen, dass diese Werte westlich und somit die unseren sind, umso weniger werden andere Länder und andere Kontinente diese Werte teilen wollen. Ich wünsche mir natürlich eine starke Stellung der UNO und der Menschenrechte, aber wir können diese universellen Werte nicht als die unseren reklamieren. Denn das impliziert: Wir sind die Guten und alle anderen die Bösen. In diesem veralteten, regelrecht kindlichen Schema kann man in einer multipolaren Weltordnung nicht mehr operieren. Wir sind tatsächlich sehr versessen darauf, die Guten zu sein, was ja per se ausgrenzend und damit das Gegenteil von gut ist. Haben Sie eine Erklärung, warum das so ist? Ich glaube, das kommt stark aus dem Christentum, das wie der Islam eine monotheistische Religion ist. Der Monotheismus kennt nur einen Gott, alle anderen Religionen sind demzufolge falsch. Dass wir uns für die Guten halten, ist ganz tief in unserer DNA: Im christlichen Mittelalter waren wir die Guten aufgrund des richtigen Glaubens, weshalb wir zu Kreuzzügen aufbrachen, später aufgrund der Industrialisierung und einer fortgeschrittenen Kultur oder jetzt wegen unserer Werte. Wir werden also lernen müssen, in eine Haltung hinein- zukommen, in der wir uns als Europäer nicht immer automatisch für die Guten und Überlegenen halten, so als ob wir die Lizenz hätten, anderen Ländern zu sagen, wie sie zu leben haben. Es braucht vielmehr eine Er ist einer der prononciertesten Denker und Meinungsbildner unserer Breiten. Bei den Tiroler Tourismusgesprächen am 24. September in Igls wird Richard David Precht die Abschluss-Keynote zum Leitthema Resilienz halten. kompakt-Chefredakteurin Christine Frei hat mit dem schillernden Publizisten und Philosophen vorab über sein aktuelles Buch „Das Jahrhundert der Toleranz“ gesprochen. Ein langer Weg des Lernens

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