Seite 16 - RLB Geschäftsbericht 2012

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„Genossenschaftsbanken denken langfristig“
Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl von der Uni Münster gilt als
die Expertin für Genossenschaftsbanken. Für sie ist ein Sys-
tem wie Raiffeisen das für heute optimale Geschäftsmodell.
Frau Prof. Theurl, Sie sagen, das System der Genossen-
schaftsbanken müsste man erfinden, wenn es dieses nicht
schon gäbe. Warum?
Prof. Theresia Theurl:
Weil es ein geniales Organisationsmodell
ist – nach dem Motto: Wer nicht groß ist, muss schlau sein und
sich zusammentun. Wenn heute oft von der Orientierung am
Shareholder Value die Rede ist, muss man festhalten: Die Ge-
nossenschaften sind hier die wahren Pioniere. Gleiches gilt für
die Idee eines kooperativen Geschäftsmodells.
Vor den Verwerfungen auf den Finanzmärkten wurde dieses
System zum Teil als bodenständig belächelt.
Bodenständig sein – heute gibt es kein größeres Kompliment.
Während bei anderen kurzfristig gedacht wird, es nur um die
richtigen Zahlen im Quartal geht, denken Genossenschaftsban-
ken, die ja nicht finanzmarktgetrieben, sondern in der Region,
der Realwirtschaft, dem Mittelstand verwurzelt sind, langfristig.
Wie beurteilen Sie die Chancen der Genossenschaftsbanken
in den nächsten Jahren?
Sie haben die besten Chancen. Und sie haben es selbst in der
Hand. Entscheidend für den Erfolg sind Zusammenhalt und Zu-
sammenarbeit, ein Miteinander. Den Tiroler Raiffeisenbanken
sage ich deshalb: Machen Sie so weiter, das ist der richtige Weg.
Eine Handvoll tatkräftiger Männer aus dem Ötztal gründete die
„I. Raiffeisensche Darlehenskasse“ Tirols. Erster Obmann des
genossenschaftlichen Vereins war Johann Tobias Haid, Landtags-
und Reichsratsabgeordneter, k.k. Postmeister, Postwirt zum Kassl in
Oetz, Weinhändler, ein einflussreicher und bestens vernetzter Ma-
cher, dem aber auch die Not der Bevölkerung nicht verborgen blieb.
Es waren damals harte Zeiten für die Menschen am Land. Gera-
de auch im Ötztal litt man unter den Auswirkungen, die von Ei-
senbahn und Dampfschiff, von neuen Verkehrswegen wie der
1884 eröffneten Arlbergbahn, aber auch von Erfindungen wie dem
Kunstdünger ausgingen. Die Flachsproduktion, wichtige Einnah-
mequelle im Tal, brach ein. Vielen Bauern fehlte es an Ackergerä-
ten und Maschinen. Sehr viele waren verschuldet, nicht selten bei
Wucherern, die horrende Zinsen verlangten. Der Tourismus steckte
bestenfalls in den Kinderschuhen.
Die Ideen Friedrich Wilhelm Raiffeisens, des großen Sozialrefor-
mers des 19. Jahrhunderts, kamen Haid und seinen Mitstreitern
– allesamt zentrale Persönlichkeiten des Oetzer Dorflebens – des-
halb gerade recht: Hilfe zur Selbsthilfe, direkt vor Ort, unabhängig
und eigenverantwortlich. Und so nahm die erste Raiffeisenkasse
Tirols schließlich im Feber 1889 ihren Betrieb auf.
Erfolgsmodell
Die Gründerväter der ersten Raiffeisenkasse Tirols hatten die Zei-
chen der Zeit richtig erkannt. Das Modell der Genossenschaftsbank
bewährte sich in der Ötztaler Gemeinde – und bei weitem nicht nur
dort. Im ganzen Land folgten Dorfgemeinschaften den Oetzer Vor-
reitern. Binnen zwei Jahren entstanden in Nord- und Südtirol 32
Kassen nach dem Vorbild Friedrich Wilhelm Raiffeisens.
Das nachhaltig erfolgreiche Geschäftsmodell basiert seit der Grün-
dung auf der goldenen Regel: „Aus der Region für die Region“.
Vereinfacht gesagt heißt das, dass anvertraute Gelder aus der Re-
gion, in Form von Krediten wieder für die Region zur Verfügung
gestellt werden – zum Beispiel für den Bau eines Hauses oder die
Errichtung einer Fertigungshalle. So wird der regionale Wirtschafts-
kreislauf gestärkt und langfristig gesichert.
Auch in der Zukunft, die ja insbesondere für die Bankenwirtschaft
viele Herausforderungen mit sich bringt, stehen deshalb bei Raiff-
eisen die Nähe zu den Kunden sowie das Gemeinwohl und nicht
die Gewinnmaximierung an erster Stelle.
Interview mit
Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl
• Selbsthilfe
Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe
•Selbstverwaltung
Im Rahmen der demokratischen Grundsätze
entscheiden die Mitglieder selbst über ihre
Genossenschaft
• Solidarische Wirtschaftsgesinnung
Mit einem gemeinsamen wirtschaftlichen Ziel auf
Basis des „Füreinandereinstehens“ (= Haftung)
• Nachhaltigkeit genossenschaftlichen Erfolgs
Das gemeinsame Ziel ist eine dauerhafte wirtschaftliche
Verbesserung. Tageserfolge dienen diesem Ziel nicht immer.
• Subsidiarität
Die Kraft der Genossenschaft wird nur dort eingesetzt, wo die
Kraft des Einzelnen nicht ausreicht und er daher Hilfe benötigt.
• Identitätsprinzip
Mitglieder (Mitunternehmer) und Kunden sind bei
der Genossenschaft ident.
Die Genossenschaftsidee
Die wesentlichen Faktoren der Genossenschaftsidee sind:
Die Raiffeisen-Bankengruppe Tirol